Oberlandesgericht Wien 1938 - 1945 - Wien Josefstadt

„Der Richter müsse bei seinen Entscheidungen weniger vom Gesetz ausgehen als von dem Grundgedanken, daß der Rechtsbrecher aus der Volksgemeinschaft ausgeschieden werde. Im Kriege gehe es nicht so sehr darum, ob ein Urteil gerecht oder ungerecht sei, sondern nur um die Zweckmäßigkeit der Entscheidung. Der Staat müsse sich auf die wirksamste Weise seiner inneren Feinde erwehren und sie endgültig ausmerzen. Der Begriff der Überzeugungstäterschaft müsse heute völlig ausscheiden. Der Zweck der Rechtspflege sei nicht in erster Linie Vergeltung oder gar Besserung, sondern Erhaltung des Staates. Es sei nicht vom Gesetz auszugehen, sondern von dem Entschluß, der Mann müsse weg.“(1)
Joseph Goebbels, 22. Juli 1942 in München

Organisation

Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wurde die österreichische Justiz neu organisiert. Rassisch oder politisch unerwünschte Richter und Staatsanwälte wurden aus ihren Posten entfernt und durch Angehörige der NSDAP ersetzt. Weiters wurde die deutsche Gerichtsstruktur übernommen. Das waren:

Am 20. Juni 1938 wurde die Verordnung über die Einführung der Vorschriften über Hochverrat und Landesverrat im Lande Österreich erlassen, womit der nationalsozialistische Volksgerichtshof auch in Österreich zuständig geworden war.

Die Ermittlungen in politischen Angelegenheiten gegen Gegner der NSDAP wurden von der Gestapo, der Kriminalpolizei und den Staatsanwaltschaften durchgeführt. Ihre Ergebnisse lieferten sie an die Oberreichsanwaltschaft am Volksgerichtshof in Berlin. Hier wurde entschieden, welche Fälle sie selbst bearbeiten wollte und welche an andere Gerichte delegiert wurden. Für die Angeklagten war diese Entscheidung von großer Wichtigkeit, denn die Todesurteilsrate am Volksgerichtshof Österreicher betreffend lag bei 40 Prozent, während sie bei den Oberlandesgerichten 1 Prozent betrug.

Der Volksgerichtshof verhandelte jedoch nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Städten, auch in Wien. Seine Zuständigkeit erstreckte sich auf

1943 wurde der Aufgabenbereich erweitert auf:

Von 2137 Österreichern, deren Fälle vom Volksgerichtshof verhandelt wurden, bestrafte man 814 mit dem Todesurteil, das in 681 Fällen auch vollstreckt wurde. 451 Personen wurden im Landgericht Wien hingerichtet. Die restlichen Urteile wurden in anderen Städten vollstreckt.

Fälle von Hoch- oder Landesverrat und Wehrmittelbeschädigung konnten vom Volksgerichtshof an die Oberlandesgerichte abgetreten werden. Am Oberlandesgericht Wien wurden 4163 Personen verurteilt, mindestens 15 von ihnen zum Tode. Etwa 10 Prozent der Angeklagten wurden frei gesprochen.

Ab 1. September 1939 übernahmen die Landgerichte die Funktionen eines Sondergerichts und waren zuständig für:

In besonderen Fällen konnte am Sondergericht auch gegen Brandstifter oder Diebe verhandelt werden.

Das 1936 in Berlin gegründete Reichskriegsgericht befasste sich mit Fällen von Hochverrat, Landesverrat, Wehrkraftzersetzung und Kriegsdienstverweigerung, sowohl von Militärangehörigen als auch Zivilisten. Es gab 3000 verurteilte Österreicher, von denen 420 die Todesstrafe bekamen, die im Landgericht Wien durch Erhängen oder Fallbeil bzw. Erschießen am Wehrmachtsschießplatz Kagran vollstreckt wurde.

1939 wurden SS- und Polizeigerichte gegründet, die ausschließlich für deren Angehörige zuständig waren, wodurch diese Straftaten der allgemeinen Justiz entzogen waren.

Ab 15. Februar 1945 wurden Standgerichte gebildet. Der Reichsverteidigungskommissar ernannte die Richter und einen Staatsanwalt als Anklagevertreter. Als Urteil konnte es entweder zur Todesstrafe, zum Freispruch oder zur Überweisung an ein ordentliches Gericht kommen. In Wien wurde durch das Standgericht anscheinend kein Fall verhandelt.

Die Gestapo konnte sogenannte Rücküberstellungsscheine bei den Staatsanwaltschaften hinterlegen, die meist zur Folge hatten, dass Beschuldigte, entweder nach Verbüßung ihrer Haftstrafe, aber auch wenn sie vor Gericht frei gesprochen wurden, zurück an die Gestapo überwiesen wurden. Dort entschied sich dann, ob derjenige tatsächlich frei gelassen wurde oder in ein Konzentrationslager kam.

Urteilsvollstreckung

1936 wurde eine "saubere" und "effiziente" Fallbeilkonstruktion erdacht, das sogenannte "Gerät F". Als Hinrichtungsraum wurde ein bis dahin im Wiener Landesgericht zur Aufbewahrung von Akten verwendeter Raum bestimmt, der sich ohne viel Aufwand für diesen Zweck umbauen ließ. Die Kosten für das im Strafgefängnis Berlin-Tegel hergestellte Gerät beliefen sich auf 550 Reichsmark. Am 23. November 1938 wurden die Arbeiten abgeschlossen und am 6. Dezember Martha Marek als erste mit diesem Fallbeil hingerichtet.

Ab 16. Juni 1943 wurden an Militärangehörigen auch Hängungen im Landgericht durchgeführt (abgesehen von zwei politischen Verurteilten in Graz). Dies stellte eine Strafverschärfung dar und sollte Verachtung gegenüber dem Verurteilten zum Ausdruck bringen.

Gab es 1933 nur drei Delikte, die mit der Todesstrafe geahndet werden konnten, so waren es 1943/44 46 Vergehen, die im Falle eines Schuldspruchs ein Todesurteil nach sich ziehen konnten. Zurückzuführen war dies zu einem großen Teil auf die Volksschädlings-Verordnung vom 5. September 1939, die den Ermessensspielraum der Justiz beträchtlich erweiterte. Der Krieg an der Front wurde sozusagen auch an der "Heimatfront" geführt, sodass selbst dann, wenn es sich nur um kleinkriminelle Vergehen handelte, die Todesstrafe verhängt werden konnte. Handtaschenräuber ereilte im Sinne der Volksschädlingsverordnung dieses Schicksal ebenso wie Feldpostdiebe, "Sittlichkeitsverbrecher" oder Personen, die "Feindsender" hörten. Die Richter und Staatsanwälte in Wien waren bereitwillige Diener des NS-Systems, die sich widerstandslos der nationalsozialistischen Rechtssprechung unterordneten und diese teils recht publikumswirksam in Schauprozessen umsetzten.

Wurde ein Häftling zum Tode verurteilt, so verlegte man ihn sofort nach der Urteilsverkündung in eine der Zellen im Erdgeschoß, wo sich auch der Hinrichtungsraum befand. Er kehrte also nach dem Urteilsspruch nicht mehr in seine Zelle in den oberen Stockwerken zurück. Begnadigungen, meist von Angehörigen erfleht, wurden nur in 16 Prozent der Fälle gewährt. Der Termin für die Exekution wurde erst kurz davor den Verurteilten bekannt gegeben. Am Tag der Hinrichtung wurde er in die Armesünderzelle gebracht, wo er seine letzten Stunden verbrachte und einen Abschiedsbrief schreiben durfte. In diesem Raum bekamen die Gefangenen noch den Beistand eines Geistlichen. Die Todesurteile wurden meist ab 18 Uhr vollstreckt.

Zum gegebenen Zeitpunkt wurde der Gefangene gefesselt und in den Vorraum des Hinrichtungsraumes gebracht. Hier wurde er darüber informiert, dass keine Begnadigung gewährt wurde und das Urteil nun vollstreckt wird. Sekunden danach wurde er im Laufschritt und mit von hinten zugehaltenen Augen durch einen Vorhang zum "Gerät F" gezerrt und positioniert, wo widerum nur Sekunden später das Fallbeil ausgelöst wurde.

Am 22. März 1945 fand im Landgericht die letzte Massenhinrichtung statt, als 17 Menschen, darunter auch die letzten wegen politischer Gründe Verurteilten, geköpft wurden. Die letzte Einzelhinrichtung wurde am 4. April an einem 23-jährigen Bäckergesellen wegen eines Einbruchsdelikts vollstreckt. Kurz bevor die sowjetischen Truppen Wien befreiten, verbrachte man die verbliebenen 47 zum Tode verurteilten Häftlinge nach Stein an der Donau, wo sie bis auf wenige Geflohene von der SS erschossen wurden.

Bilanz vollstreckter Todesurteile zwischen 6. Dezember 1938 und 4. April 1945:

Der ehemalige Hinrichtungsraum, heute Weiheraum
©Thomas Keplinger, 2015
Der ehemalige Hinrichtungsraum, heute Weiheraum
Der ehemalige Hinrichtungsraum, heute Weiheraum
©Thomas Keplinger, 2015
Rechts unten erkennt man die Stelle, an der sich der Abfluss befand
Modell des sogenannten Geräts F
©Thomas Keplinger, 2015
Modell des sogenannten Geräts F (Bild befindet sich im Wiener Kriminalmuseum)
Wasserhahn
©Thomas Keplinger, 2015
Detail des ehemaligen Hinrichtungsraums
©Thomas Keplinger, 2015
Gedenktafeln für die zwischen 1942 und 1945 hingerichteten Personen
Projektionsvorrichtung in der Landesgerichtsstraße
©Thomas Keplinger, 2015
Diese Installation wirft bei Dunkelheit die Worte "369 Wochen / Weeks" an die Fassade des Landesgerichts auf Höhe des einstigen Hinrichtungsraumes

Quellen und weitere Informationen:

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