Flugmotorenwerke Ostmark - Wiener Neudorf

Rekonstruktion der Flugmotorenwerke Ostmark - heute Industriezentrum Niederösterreich Süd
©Schmitzberger, 2000
Rekonstruktion der Flugmotorenwerke Ostmark - heute Industriezentrum Niederösterreich Süd
Hier die entsprechende Satellitenaufnahme aus dem Jahr 2006
©Google Earth
Hier die entsprechende Satellitenaufnahme aus dem Jahr 2006

Zum Bild: Noch heute sind die Grundstrukturen und die gigantischen Dimensionen der Flugmotorenwerke erkennbar. Der Zubringer zur Autobahn A2 führt über die ehemalige Firmenleitung (2) und die Motorenprüfstände (3). Die fünf großen Fertigungshallen (4) sind zwar vollkommen überbaut, aber doch noch in ihren Umrissen auszumachen.

Geschichte

Ferdinand Brandner, ein Konstrukteur der Junkers Flugzeug- und Motorenwerke AG, entwickelte seit 1937 einen neuen Flugmotor (Jumo 222) und wollte ihn auch in seiner österreichischen Heimat in Serie fertigen lassen. Der flüssigkeitsgekühlte Reihen-Sternmotor mit einer Startleistung von 2.000 PS war als Antriebsaggregat für einige Langstreckenbomber vorgesehen, z.B. für Do 317, Fw 191 und Ju 288.

Der Junkers-Motor JUMO222
©Schmitzberger, 2007
Der Junkers-Motor JUMO222

Brandner konnte Dr. Walter Jander, Vorstandsmitglied der Junkerswerke, von der Qualität des Jumo 222 überzeugen und im November 1940 suchten die beiden den Gauleiter von Wien, Baldur von Schirach auf, um ihn für diesen Plan zu gewinnen. Der Gauleiter besuchte daraufhin Reichsmarschall Hermann Göring in dessen Hauptquartier in Rouen und erreichte, dass das Werk in der Ostmark (Österreich) gebaut wird. Die Produktion der Motoren, der Zusatzgeräte und der Propeller sollte in drei getrennten Werken erfolgen.

Am 2. April 1941 gründeten das Reichsluftfahrtministerium (RLM), die eigene Bank (BdDtL) und die Flugzeugfabrik Junkers die Flugmotorenwerke Ostmark mit Sitz in Wien*, als künftiger Betreiber der drei Werke. Zweigwerke wurden im mährischen Brünn für Bosch-Einspritzpumpen und im slowenischen Marburg für Luftschrauben der Vereinigten Deutsche Metallwerke (VDM) errichtet.

Der Generalbauinspektor Albert Speer wurde vom RLM mit der Errichtung des Werkes auf einem Areal von circa 250 Hektar beauftragt. Erbaut wurde das Werk von der Steyr-Daimler-Puch AG. Statikberechnungen führte das Ingenieurbüro Diplom-Ingenieur Karl Fiebinger durch. Gebaut wurde in Einfachbauweise, da das Werk nach dem Krieg wieder abgerissen werden sollte. Geschätzte Gesamtkosten: 393 Millionen Reichsmark.

Produktionsanlauf war im August 1941, der Ausstoß der fertigen Flugmotoren Jumo 222 sollte im Juni 1943 beginnen. Ende August 1941, nach Erprobung des Motors in einer Ju 52, gab der Junkers-Konzern bekannt, dass der neue Motor noch keine Serienreife erlangt hat und somit nicht zum vorgesehenen Termin verfügbar ist. Diese Information wurde auch an den Staatssekretär des RLM, Erhard Milch weitergegeben. Im September 1941 wurde entschieden, die Produktionsvorbereitungen für diesen Motor in Wiener Neudorf anzuhalten und das Junkers-Management abzulösen.

Die Daimler-Benz AG übernahm von Junkers den zehnprozentigen Besitzanteil an den Flugmotorenwerken Ostmark. Geschäftsführer Dr. Ing. Wilhelm Eckenberg und Paul Tappert, sowie die Bauorganisation wurden übernommen. Die gesamte Produktion wurde auf Daimler-Benz-Motoren des Typs DB 603 umgestellt, wobei auch dieser Motor noch nicht für die Serienfertigung geeignet war.

Der Daimler-Benz-Motor DB 603
©Schmitzberger, 2007
Der Daimler-Benz-Motor DB 603

Der 12 Zylinder-Einspritzmotor mit einer Startleistung von 1.750 PS, mechanischer Aufladung und Druckwasserkühlung, war für Bomber und Nachtjäger Me 410, Do 217 und He 219 vorgesehen.

Im Oktober 1941 war der Bau des Hauptwerkes bereits so weit fortgeschritten, dass im Beisein von Generalbauinspektor Albert Speer, Staatssekretär Erhard Milch und Generalluftzeugmeister Ernst Udet (Suizid am 17.11.1941) das Richtfest begangen wurde.

Die Inbetriebnahme des Werkes gestaltete sich jedoch wesentlich komplizierter als der Aufbau. Lieferschwierigkeiten der deutschen Werkzeugmaschinenindustrie, Rohstoffknappheit, viele Konstruktionsänderungen am Motor DB 603 und der Facharbeitermangel zwangen zu ständigen Umplanungen. Durch das Fehlen von inländischen Facharbeitern entschloss man sich, tschechische Industriehandwerker einzusetzen.

Im Herbst 1942 zählte das Werk bereits über 7.000 Beschäftigte, in Umschulungswerken befanden sich 4.200 Personen. Lehrlinge wurden z.B. in der ehemaligen Schuhfabrik "BEKA" in Mödling, Gabrielerstraße ausgebildet. Dort waren die Dreherei, Fräserei, Schleiferei und die Schmiede untergebracht. Die Flugmotorenwerke Ostmark sollten nach Fertigstellung 20.000 Arbeitskräfte beschäftigen.

Der Baufortschritt verzögerte sich aber, weil durch den Bau der Flugzeugfabrik Heinkel in Schwechat Arbeitskräfte gebraucht wurden und deshalb Kriegsgefangene abgegeben werden mussten. Trotzdem konnten die Bauten bis Anfang 1943 zu 90% fertiggestellt werden. Nachdem bis Frühjahr 1943 kein einziger Motor das Werk verlassen hatte, wurde die Ausgliederung des Werkes Marburg aus dem Flugmotorenwerke Ostmark-Verband veranlasst.

Produktionsexperten des RLM untersuchten die Situation und warfen den Managern von Daimler-Benz Versagen vor. Die Geschäftsführer Dr. Ing. Wilhelm Eckenberg und Paul Tappert wurden abgesetzt. Anfang Mai 1943 besuchte Reichsmarschall Hermann Göring das Werk und ernannte den Generaldirektor der Steyr-Daimler-Puch AG, Georg Meindl, zum kommissarischen Leiter des Werkes.

Ing. Walter Hitzinger, seit 1940 technischer Referent bei der Steyr-Daimler-Puch AG, wurde Vorstandsmitglied der Flugmotorenwerke Ostmark. Anfang Juni 1943 waren bei einem Stand von etwa 15.000 Beschäftigten und 4.000 Werkzeugmaschinen erst drei Motoren gefertigt worden.

Georg Meindl sah als einzig mögliche kurzfristige Lösung die Umstellung der Fertigung auf den Daimler-Benz Motor DB 605. Der 12 Zylinder-Einspritzmotor mit einer Startleistung von 1.475 PS und mechanischer Aufladung war für den Messerschmitt-Jäger Bf 109 (Me 109) der Serien G und K vorgesehen. Im Juli 1943 wandte sich Georg Meindl direkt an den Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, um 600 Facharbeiter für das Werk zu bekommen.

Am 2. August 1943 trafen die ersten KZ-Häftlinge aus dem KZ Mauthausen ein, um das Bauarbeiterlager als KZ einzurichten.

Der Daimler-Benz-Motor DB 605 im Bug einer Messerschmitt Bf 109 G
©Schmitzberger, 2007
Der Daimler-Benz-Motor DB 605 im Bug einer Messerschmitt Bf 109 G

Bis Ende 1943 wurden 515 Stück DB 605 gebaut. Die Flugmotorenwerke Ostmark waren nach den langen Anlaufschwierigkeiten ab 1944 als Hauptlieferant des Serienmotors DB 605 für Messerschmitt-Flugzeuge vorgesehen.

Auf Grund der alliierten Bombenangriffe liefen die Vorbereitungen zur Verlagerung der Produktion in bombensichere Unterkünfte. Im Februar 1944 wurde mit Erhard Milch darüber beraten, wohin die Flugmotorenwerke Ostmark bis zur Fertigstellung der Luftschutzstollen bei Melk (Projekt "Quarz") verlegt werden könnten. 14.300 KZ-Häftlinge (mehr als ein Drittel davon starb bis Kriegsende) wurden dort gezwungen, ein weitverzweigtes Stollensystem zu graben.

Jägerstab

Am 1. März 1944 formierte sich der "Jägerstab" mit der Zielsetzung, die Produktion von Jagdflugzeugen durch folgende Maßnahmen aufrecht zu erhalten und zu steigern: Dezentralisierung und Verlagerung in bombensichere Produktionsstätten, Beseitigung von Bombenschäden an bestehenden Produktionsstätten, Straffung der Produktionspalette - Streichung einiger Bomber.

Mitglieder des Jägerstabes:

Leiter des Stabes: Generalbauinspektor Albert Speer
Stellvertreter: Generalfeldmarschall Erhard Milch
Leiter der SS-Amtsgruppe C (Bauwesen): Generalleutnant Dr. Ing. Hans Kammler
Leiter des technischen Amtes im Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion (RMfRuK): Dipl. Ing. Karl-Otto Saur

Chronologie der Produktion

5. März 1944: Die Dubnicawerke (Skoda/Slowakei) wurden der Luftwaffe für Verlagerungszwecke zugewiesen und es wurde entschieden, dass der größte Teil des Werkes dorthin zu verlagern sei (Deckname "Rochen"). Das Hauptwerk sollte nur für die Montage der Flugmotoren zuständig bleiben. Von den 60.000 m² großen Stollen in Dubnica wurden 54.000 m² von den Flugmotorenwerken Ostmark belegt. Daneben wurde eine Reihe kleinerer Gebäude und Kellereien im Wiener Raum, mit insgesamt 20.000 m² bezogen (z.B. der Braukeller in Schwechat oder der Flakturm Arenbergpark).

März 1944: 331 Stück DB 605
April 1944: 365 Stück
Mai 1944: 200 Stück
8. Juli 1944: Erster Bombenangriff auf das Werk, wobei größere Schäden an den Werksanlagen angerichtet wurden
16. Juli 1944: "Mission #63" der 461st Bomb Group "The Liberaiders". Treffer im Werk, Brände in der Luftwaffensiedlung durch abgeworfene Phosphorkanister.
26. Juli 1944: Schwerste Bombardierung des Werkes: 200 Brandbomben, 86 Sprengbomben und vier Phosphorbomben trafen das Werk. Einschläge in den Hallen 9 bis 14, Schäden am Betriebsgebäude, zwei Prüfständen und zwei Kühltürmen
23. August 1944: Nach Bombenangriff brannten zwei Baracken nieder.
August 1944: 120 Stück DB 605, in diesem Monat wurde die Verlagerung nach Dubnica abgeschlossen, doch die Lieferung der Motorenteile kam nicht richtig in Gang.
September 1944: 98 Stück DB 605, Höchststand des KZ: 3.170 inhaftierte Zwangsarbeiter.
7. Oktober 1944: Bei der Bombardierung wurden hunderte Bomben auf das Werksgelände und seine Umgebung abgeworfen.
6. November 1944: Bombenabwurf auf Mödling, Wiener Neudorf und die Flugmotorenwerke Ostmark
Dezember 1944: 77 Stück DB 605

Kriegsende

In Dubnica war keine geregelte Produktion mehr möglich und so kam auch die Endmontage in Wiener Neudorf fast zum Erliegen. Dr. Ing. Wilhelm Haspel, im Vorstand von Daimler-Benz, ordnete angesichts der näherrückenden Front an, die Großteilfertigung mit circa 300 Spezialmaschinen nach Heidelberg zu verlegen. Die Vormontage sollte nun in Wiener Neudorf erfolgen. Die Rückverlagerung führte zu heftigen Konflikten zwischen Skoda, welche die Maschinen nicht schnell genug hergab, der Daimler-Benz AG und der Steyr-Daimler-Puch AG, die ihrerseits die Werkzeugmaschinen gegen Ende des Krieges nach Kirchbichl in Tirol verlagerten.
2. April 1945: Todesmarsch der Häftlinge Richtung Mauthausen
6. April 1945: Russische Truppen besetzten die Flugmotorenwerke Ostmark und Wiener Neudorf. Das Werk wurde beschlagnahmt und alle noch vorhandenen Maschinen als Beutegut in die Sowjetunion abtransportiert.

Nachkriegszeit

In den Jahren 1950-1952 erfolgte auf Anordnung des Alliierten Kontrollrates die Sprengung der Werksgebäude.
15. Mai 1955: Mit Abschluss des Staatsvertrages ging die Verfügungsgewalt des schuttbedeckten Geländes auf die österreichischen Behörden über.

*Anmerkung: Wiener Neudorf wurde am 21.07.1938 eingemeindet und gehörte zum 24. Bezirk (Mödling) von Groß-Wien. "Endgültige" Textierung über die Gebietsänderungen am 02.09.1938.

zusammengetragen von Christian Temper

Der erhaltene Luftschutz-Hochbunker am Areal der einstigen Flugmotorenwerke Ostmark
©Gerald P., 2007
Der erhaltene Luftschutz-Hochbunker am Areal der einstigen Flugmotorenwerke Ostmark
Das Industriezentrum Niederösterreich-Süd heute (Gebiet der einstigen Barackenlager). Die letzten Reste der Flugmotorenwerke 
								sind für Betriebsfremde nicht mehr zu sehen
©Schmitzberger, 2001
Das Industriezentrum Niederösterreich-Süd heute (Gebiet der einstigen Barackenlager). Die letzten Reste der Flugmotorenwerke sind für Betriebsfremde nicht mehr zu sehen
Zwei Einmannbunker auf dem Gelände der Flugmotorenwerke Ostmark
©Schmitzberger, 2001
Zwei Einmannbunker auf dem Gelände der Flugmotorenwerke Ostmark

Zustand heute:

Das Gelände wurde praktisch völlig überbaut. Einige Hallen sind in Verwendung von verschiedenen Firmen am Gelände des "Industriezentrum Niederösterreich Süd" in der Nähe der SCS. Die Autobahnabfahrt Wiener Neudorf führt mitten über einige der einstigen Gebäude.

Quellen und weitere Informationen:

  • Dressel Joachim, Griehl Manfred, Zobel Fritz X., Mathmann Jakob M., Deutsche Sturzkampfflugzeuge (Eggolsheim-Bammersdorf 2002)
  • Haberfellner Wernfried, Schroeder Walter, Wiener Neustädter Flugzeugwerke Gesellschaft m.b.H. Entstehung, Aufbau und Niedergang eines Flugzeugwerkes (3. Auflage, Graz 1999)
  • Janetschek Kurt, Wiener Neudorf im Wandel der Zeit (Wiener Neudorf 1978)
  • Perz Bertrand, Das Projekt Quarz. Der Bau einer unterirdischen Fabrik durch Häftlinge des KZ Melk für die Steyr-Daimler-Puch AG 1944-1945 (Wien 2014)
  • Pimlott John, Die Luftwaffe. Die Geschichte der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg (Klagenfurt 2004)
  • Römisch-Katholisches Pfarramt Neu Guntramsdorf (Hg.), Das ehemalige Konzentrationslager in Guntramsdorf 1943/44 (o. O. 1996)
  • Stasny Walter, Krause Peter, Flugmotorenwerke Ostmark (ÖFH-Sonderheft Nr.19, o. J.)
  • Stiglbauer Karl, Biedermannsdorf. Der Wandel eines Bauerndorfes zur Stadtrandgemeinde von Wien (Biedermannsdorf 2004)
  • Stoik Josef, Unser Neudorf (Mitteilungen des Archives der Marktgemeinde Wiener Neudorf, Heft 2005/2)
  • Zentner Christian, Der Zweite Weltkrieg. Ein Lexikon (Wien 1998)
  • Gedenkverein Guntramsdorf Wiener Neudorf - Todesmarsch (17.07.2015)
  • Gedenkverein Guntramsdorf Wiener Neudorf - Lageralltag (17.07.2015)

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