Erdölraffinerie - Wien XXI

Der Chemiker F. Pilz errichtete 1864 auf dem Areal einer aufgelassenen Maschinenfabrik östlich des Bahnhofes Floridsdorf eine „Fabrik für Petroleumprodukte“. Aus Vorprodukten, die auf der Nordbahn aus Galizien angeliefert wurden, erzeugte das Werk Leuchtpetroleum, Schmiermittel, Paraffin und Kerzen. Mit Ausbau des Eisenbahnnetzes in Galizien und später auch in Rumänien wurde im Laufe der Jahre der Rohölbezug mittels Kesselwagen ständig gesteigert und man begann mit der Benzinraffination. Das in einem geschlossenen System mit Schwefelsäure und Lauge raffinierte Benzin diente aber nicht wie heute zum Antrieb von Fahrzeugen, sondern leistete als Fleckputzmittel unter dem Markennamen „Floridsdorfer Fleckwasser“ seine Dienste.

Vor 1900 nahm man die Produktion von Eisenbahnachsölen auf. Aus dem Jahr 1913 ist ein Beschäftigtenstand von 320 Arbeitern und 50 Angestellten überliefert. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges stieg die Bedeutung der Kraftstoffproduktion und die Raffinerieanlagen wurden bis Kriegsende ständig ausgebaut. Nach Kriegsende 1918 geriet die Raffinerie durch den Zerfall der Donaumonarchie und die dadurch entstandene Abtrennung der Ölfelder Galiziens von Österreich in arge Schwierigkeiten.

Mittels Zusammenarbeit mit dem „Royal Dutch Shell“-Konzern ab 1923 sicherte man den Weiterbestand des Unternehmens durch Rohölimportverträge aus Rumänien. Durch Investitionen in die neue Technologie der Vakuumdestillation konnte ein großer Schritt nach Vorne gesetzt werden. 1929 kam es zur vollständigen Vereinigung mit dem Shell-Konzern und die Firmenbezeichnung lautete nun „Aktiengesellschaft der Shell-Floridsdorfer Mineralölfabrik“. Durch einen östereichisch-rumänischen Handelskonflikt kam es 1933 zur Einstellung der Lieferungen aus den Ölfeldern von Ploesti. Ersatz wurde durch Rohölimporte aus Venezuela geschaffen, welche über den Hafen Triest abgewickelt wurden. Aber auch die ersten kleineren Ölmengen aus den im Aufbau befindlichen niederösterreichischen Feldern um Zistersdorf kamen damals in Floridsdorf zum Einsatz.

Nach dem Anschluss Österreichs an das deutsche Reich im März 1938 ging der Besitz der Raffinerie auf die deutsche Shell-Tochter über. Aus strategischen Gründen wurde die Verarbeitungskapazität auf 150.000 Jahrestonnen ausgebaut und ab 1940 nur mehr Erdöl aus österreichischen Revieren verarbeitet. Ab Mai 1944 setzte die alliierte Bombenoffensive gegen Ölziele im damaligen Reichsgebiet ein. Dabei waren neben den Anlagen im sogenannten „Altreich“ auch die Raffinerien (neben Floridsdorf noch Lobau, Kagran, Vösendorf, Korneuburg, Schwechat, Moosbierbaum und Tanklager im Raume Wien ein Primärziel. Hunderte Bomber luden ihre zerstörerische Last bei mehr als 16 Großangriffen auf Ölanlagen in und um Wien (ohne Moosbierbaum) ab. Die Shell-Raffinerie Floridsdorf wurde aber auch bei den zahlreichen Angriffen auf benachbarte Rüstungsziele, wie Lokomotivfabrik, Hofherr & Schrantz, Siemens-Werke, AEG, Lohnerwerke, AFA-Werke usw., sowie der ausgedehnten Bahnanlagen des öfteren getroffen. Trotz der schweren Zerstörungen gelang es immer wieder, die Anlagen kurzfristig zu reparieren und die Produktion, wenn auch in eingeschränktem Umfang, fortzusetzen. In den letzten Kriegswochen kam die Produktion jedoch fast gänzlich zum Stillstand, da wegen der ständigen Luftangriffe auf die Bahnanlagen fast kein Rohöl mehr in der Raffinerie ankam.

Nach der Besetzung Floridsdorfs durch die Sowjet-Armee kam die Raffinerie unter sowjetische „USIA“-Verwaltung. Die Einrichtungen wurden wieder repariert und produzierten bis 1955 für die russische Besatzungsmacht.

Nach Abschluss des Staatsvertrages 1955 bis zur Stilllegung 1970 wurde in der wahrscheinlich ältesten Erdölraffinerie Europas wieder für die Shell-Austria AG Erdöl verarbeitet. Die Raffinerieanlage wurde demontiert und neuerrichtete Industriebetriebe nutzen heute das Gelände. Einzig erhaltener Rest der Raffinerieanlagen ist der ehemalige Hochbunker in der Pilzgasse.

Quellen und weitere Informationen:

  • Banny Leopold, Krieg im Burgenland. Bd. 1: Warten auf den Feuersturm. Vom Beginn des Luftkrieges 1943 bis zum Beginn der Kampfhandlungen Ende März 1945 (Lackenbach 1983)
  • Feichtinger Friedrich, Spörker Hermann, ÖMV - OMV. Die Geschichte eines österreichischen Unternehmens (Horn 1995)
  • Girbig Werner, ...mit Kurs auf Leuna. Die Luftoffensive gegen die Treibstoffindustrie und der deutsche Abwehreinsatz 1944-1955 (Stuttgart 1980)

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